Mittwoch, 2. März 2011

So fern und doch so nah?


Die große Liebe findet man nur einmal, heißt es. Wenn die große Liebe aber mehrere hundert Kilometer vom eigenen Wohnort entfernt lebt, dann hat man ein Problem. Ein Problem, dass man in Deutschland mit mehr als vier Millionen Paaren teilt. Jede siebte Partnerschaft wird mittlerweile als Fernbeziehung geführt, wobei der Anteil an jungen Akademikern besonders hoch ist: Jeder Vierte von ihnen führt – zumindest über einige Jahre – eine Wochenendbeziehung. Denn im Zeitalter der Globalisierung werden Flexibilität und Mobilität zur neuen Lebensform. Und da sich beide Partner nach den neuen Gesetzen des Arbeitsmarktes richten müssen, steigt der Anteil an Fernbeziehungen jährlich. Dabei ist der Umstand, in einer festen Partnerschaft ohne gemeinsamen Alltag zu leben, für die meisten der betroffenen Paare äußerst unbefriedigend. So sind es meist berufliche oder ökonomische Bedingungen, die zu getrennten Haushalten führten - eine freiwillige Fernbeziehung gehen die wenigsten Paare ein. Doch sind Fernbeziehungen tatsächlich immer schlecht für eine Partnerschaft? Und welche Auswirkungen hat die multilokale Form der Partnerschaft auf das Erleben einer Beziehung?

Ganz offensichtlich gehen mit Fernbeziehungen eine Reihe an Belastungen einher, die sowohl emotionaler als auch finanzieller und organisatorischer Natur sein können. So müssen gewisse Arrangements getroffen werden, die – trotz der Distanz zwischen den jeweiligen Wohnorten – ein regelmäßiges Wiedersehen ermöglichen. Dabei pendeln die meisten Paare im Wechsel, insbesondere in Beziehungen, in denen einer der Partner im Ausland lebt. Je weiter die Wohnorte voneinander entfernt liegen, desto größer sind auch die zeitlichen Abstände zwischen den Besuchen. Laut einer Umfrage pendeln die meisten Paare jedoch im zweiwöchigen Wechsel, wobei sich die Pendelmobilität aus beruflichen Gründen stark auf das Wochenende konzentriert. Die regelmäßigen Fahrten belasten dabei nicht nur den Geldbeutel. Die Odyssee zum geliebten Partner nimmt auch sehr viel Zeit und Geduld in Anspruch.
Neben aufwendigen Fernreisen, werden im Zusammenhang mit Fernbeziehungen auch negative Auswirkungen auf die eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten geschildert. So kann die Sehnsucht nach dem Partner beinah depressive Symptome annehmen: Unkonzentriertheit, Traurigkeit und Weinattacken sind die leidlichen Folgen. Zur emotionalen Belastung kommen auch Sorgen um die Partnerschaft, wobei sich insbesondere die Furcht vor Entfremdung und die Entwicklung getrennter Lebenswelten als problematisch darstellt. Denn fehlt es Paaren an gemeinsamen Erfahrungen, können sie den gemeinsamen Lebensweg leicht aus den Augen verlieren. Selbstverständlich wirkt sich die Liebe auf Distanz auch auf die Familienplanung aus. So sind die meisten Paare in Fernbeziehungen kinderlos. Fernbeziehungen belasten demnach nicht nur die betroffenen Individuen, sondern auch das gesamte politische und gesellschaftliche System. Vielleicht ein Appell an unser Wirtschaftssystem, durch eine familienfreundlichere Mitarbeiterpolitik künftig potentielle Kunden zu sichern, die andernfalls niemals geboren würden?  

Doch trotz der offensichtlichen Schwierigkeiten, sind Fernbeziehungen überraschenderweise nicht generell nachteilig für die Qualität einer Partnerschaft. Zu diesem Ergebnis gelangen eine Reihe an psychologischen Untersuchungen über Fern- und Nahbeziehungen. So gibt etwa ein Drittel aller in einer Fernbeziehung lebenden Personen an, dass ihnen diese Lebensform ein hohes Maß an Autonomie gewährt. Die Befürchtung, in Nahbeziehungen wieder verstärkt Rücksicht nehmen zu müssen und dabei die eigene Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu verlieren, fungiert als ein häufig genanntes Argument für bewusst getrennte Wohnorte. Doch auch in unfreiwillig geführten Fernbeziehungen lassen sich Vorzüge finden, die von den Beteiligten selbst eventuell gar nicht bewusst wahrgenommen werden und nur durch einen direkten Vergleich mit Nahbeziehungen hervorstechen. So zeigen wissenschaftliche Studien, dass der begrenzte Kontakt mit dem eignen Partner zu einer stärkeren Idealisierung des Partners und der Beziehung führen kann, aber auch zu einem höheren Ausmaß an Liebe und Partnerschaftszufriedenheit. Darüber hinaus deuten psychologische Untersuchungen daraufhin, dass Getrenntlebende auch zufriedener mit ihrem Sexualleben sind und insbesondere der Austausch von Zärtlichkeit einen höheren Stellenwert einnimmt als bei Nahbeziehungen. Dies lässt sich eventuell dadurch begründen, dass das sexuelle Verlangen durch wochenlange Abstinenz bei getrennt lebenden Paaren höher ausgeprägt ist als bei Paaren mit gemeinsamem Wohnsitz. Die Intimität wird folglich intensiver verspürt und auch bewusster wahrgenommen.
Doch nicht nur der körperliche, auch der verbale Austausch kommt bei Fernbeziehungen keineswegs zu kurz. Im Gegenteil: So weisen die Ergebnisse diverser Fragebogenstudien darauf hin, dass viele Ehepaare im Schnitt nur 7 bis 14 Minuten täglich miteinander sprechen, während Fernliebende von einer sehr lebendigen Kommunikation berichten – schließlich haben sie sich durch die unterschiedlichen Erfahrungen und getrennten Alltagserlebnisse viel zu erzählen. Von Vorteil sind in diesem Zusammenhang auch die neuen Technologien, die einen Mangel an „face-to-face“-Kommunikation durch andere Formen der Kommunikation (Skypen, Chatten, Telefonieren) kompensieren können. Fehlende gemeinsame Gespräche sind wiederum einer der häufigsten Trennungsgründe von zusammenlebenden Paaren. Zudem ergeben qualitative Umfragen, dass in Deutschland selbst junge Paare relativ selten miteinander ausgehen. Der Trend des Couchwärmens findet sich in besonderem Maße bei Paaren, die sich eine Wohnung teilen, während Fernliebende die regelmäßigen Besuche gerne dazu nutzen, dem Partner die coolen Locations der eigenen Stadt zu zeigen. Dies bedeutet, dass getrennt wohnende Paare zwar insgesamt weniger Zeit miteinander verbringen, dass diese Zeit aber effektiver für gemeinsame Unternehmungen genutzt wird.
Das mit einer Fernbeziehung einhergehende, positive Partnerschaftserleben kann natürlich auch auf den Umstand zurückgeführt werden, dass Getrenntwohnende vor allem die Wochenenden miteinander verbringen und in der gemeinsamen Zeit daher weniger Alltagsstress erleben. So zeigte eine Studie zur Partnerschaftszufriedenheit, dass Beziehungskonflikte werktags häufiger auftreten als an den Wochenenden, da insbesondere der Berufs- und Alltagsstress mit negativen Interaktionssequenzen korreliert. Dementsprechend verstärkt der partnerschaftliche Alltag entscheidend die Entstehungs- und aufrechterhaltenden Bedingungen einer negativen partnerschaftlichen Dyade. Dies impliziert ein Zusammenbrechen positiver Interaktionen - mit der Folge, dass ein wechselseitiges dysfunktionales Verhalten in Häufigkeit und Intensität zunimmt. Dadurch etabliert sich wiederum ein Teufelskreis, in dem gegenseitige positive Verstärkung zunehmend ausbleibt und durch negative Verhaltensexzesse ersetzt wird. Dementsprechend unterscheiden sich Nah- und Fernbeziehungen in den Stressoren, welche die jeweiligen Partner in ihren Beziehungen wahrnehmen und empfinden. Während Personen, die eine Fernbeziehung führen, am stärksten unter der Distanz zum Partner leiden, sehen Paare in Nahbeziehungen ihre Partnerschaft durch Beziehungskonflikte, Streitereien, langweilige Routine und Meinungsverschiedenheiten gefährdet.

Doch trotz der jeweiligen Vorteile, die mit einer Fernbeziehung einhergehen, sehen die meisten Paare ihre derzeitige Lebensform als temporären Zustand an, der auf absehbare Zeit - meist innerhalb der nächsten zwei Jahre - in eine gemeinsame Wohngemeinschaft führen soll. Schließlich fungiert eine gemeinsame Wohngrundlage als Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Beziehung, in der auch Eigenheime und Kinder eine Rolle spielen können. In vielen Fällen wird die provisorische Lebensform jedoch länger als beabsichtigt fortgeführt, meist aufgrund organisatorischer, finanzieller oder beruflicher Gründe. Für die Zeit, in der die Fernbeziehung noch aktuell ist, bietet sich Paaren daher die Gelegenheit, die Vorteile ihrer Fernliebe noch einmal voll auszukosten. Sollten Kummer und Sehnsucht dann doch einmal überhand nehmen, stellt eine amerikanische Homepage eine Reihe an konstruktiven Tipps zur Verfügung, die dabei helfen, eine Trennungszeit sinnvoll zu überbrücken (www.longdistancecouples.com) . Eine kleine Auswahl der Vorschläge soll an dieser Stelle aufgeführt werden:
1.       Notiere dir jeden Abend 10 Eigenschaften, die du an deinem Partner schätzt. Am Ende der Woche schickst du ihm diese Liste in Form einer romantischen Karte.
2.       Kaufe deinem Partner eine Schachtel Pralinen. Unter jede Praline legst du einen Zettel mit einer persönlichen Botschaft.
3.       Verabrede dich mit deinem Partner zu virtuellen Dates. Die Palette gemeinsamer Online-Aktivitäten reicht von Konzertveranstaltungen über Museumsbesuche bis hin zu erotischen Chatdialogen.
4.       Fertige aus einem gemeinsamen Bild von euch ein Puzzle an. Schicke deinem Partner mit jedem Brief einige Puzzleteile.
5.       Erstellt eine gemeinsame Homepage und aktualisiert sie regelmäßig mit kleinen Videos, Fotos und Liebesbotschaften.

Viel Spaß beim Ausprobieren!