Mittwoch, 5. Januar 2011

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser?

Die meisten Menschen wünschen sich nichts sehnlicher, als eine vertraute Person an ihrer Seite; eine Person, bei der sie sich sicher und geborgen fühlen und auf die sie sich verlassen können. Denn Vertrauen ist die wesentliche Komponente zwischenmenschlicher Beziehungen. Nur durch das Gefühl, sich der guten Absichten, der uneingeschränkten Loyalität und der absoluten Ehrlichkeit des Partners gewiss sein zu können, vermag eine neue Beziehung in die Phase tieferer Verbundenheit einzugehen. So nannten im Rahmen einer wissenschaftlichen Familienanalyse 70% der Befragten Treue als wichtigste Eigenschaft des idealen Partners und Vertrauen als wesentliche Rahmenbedingung für langfristige Partnerschaften. Ein vertrauensvoller Partner stellt auch eine Stütze dar, welche das eigene Handlungsfeld erweitert und das Sammeln neuer Erfahrungen ermöglicht. Der Vertrauensaufbau liegt nämlich einem rationalen psychologischen Prozess zugrunde: Ein komplexes soziales System, welches aus unbekannten, potentiell gefährlichen Einzelkomponenten besteht, wird durch vertraute Gewohnheiten in seiner Struktur vereinfacht. Vertrauen reguliert in diesem Sinne die soziale Wahrnehmung. Nur wenn nicht jedes Aufeinandertreffen zweier Menschen als Gefahrensituation interpretiert wird, ist es uns möglich, eine funktionierende Gesellschaft zu errichten und sozial (effizient) zu interagieren.
Vertrauen entwickelt sich auf der Basis früherer Erfahrungen. Dementsprechend ist Vertrauen ein erlerntes Verhalten, welches nicht schon zu Beginn einer Beziehung besteht, sondern sich erst allmählich einstellt. Nichtsdestotrotz ist auch der erste Eindruck einer Person, im Hinblick auf die Vertrauensbildung, ein nicht zu unterschätzender Faktor, da Sympathien bzw. Antipathien bereits im Anfangsstadium vertrauensfördernde bzw. -hemmende Prozesse auslösen können. Anders als das Selbstvertrauen, welches wir durch eigene Erfolge und ein positives Feedback aus der Umwelt entwickeln, entsteht das Fremdvertrauen, d.h. das Vertrauen gegenüber anderen Menschen, durch den Austausch einer Reihe von immer intensiveren Vertrauenshandlungen. Dies geschieht reziprok, d.h. im Sinne eines gegenseitigen Gebens und Nehmens: Menschen, die eine Vorleistung, d.h. eine vertrauensfördernde Verhaltensweise erbracht haben, erwarten vom Partner, dass er diese erwidert. Wenn die (oft auch unbewussten) Handlungsweisen – nach Ansicht der Akteure – gezeigt wurden, beständig waren und positive Konsequenzen nach sich zogen, können wir uns der Vertrauenswürdigkeit des jeweils Anderen subjektiv sicher sein. Subjektiv – denn Vertrauen ist stets mit einem gewissen Risiko verbunden. Vertrauenshandlungen sind immer auch risikoreiche Handlungen, welche eine Entscheidung entgegen der eigenen Kontrollmöglichkeiten implizieren. Vertrauen ist so gesehen zunächst einmal ein Wagnis, das durchaus vom Anderen enttäuscht werden kann.
Vertrauen kann auf vielerlei Weise missbraucht werden. In Partnerschaften handelt es sich hierbei meist um absichtsvolles Lügen und sexuelle Untreue. Durch das grenzenlose Kontaktangebot im Internet wird Fremdgehen nun auch auf das virtuelle Geschehen ausgeweitet und die Bewältigung von Cyberuntreue ist in Paartherapien mittlerweile ein wichtiges Thema. Die Barriere zwischen Loyalität und Untreue schwindet. Denn genauso wie der Vertrauensaufbau einer subjektiven Komponente unterliegt, wird auch der Vertrauensmissbrauch von Individuum zu Individuum unterschiedlich interpretiert. Während einige Paare bereits das (heimliche) Chatten mit virtuellen Flirtpartnern als Untreue interpretieren, ziehen andere Menschen die Grenze erst beim tatsächlichen sexuellen Akt des Partners mit einer dritten Person. Evolutionspsychologische Untersuchungen hierzu ergaben, dass Männer vor allem die sexuelle Untreue ihrer Partnerin als gravierenden Vertrauensbruch interpretieren, da sie sich dann ihrer biologischen Vaterschaft nicht sicher sein können. Im Gegensatz hierzu, beurteilen Frauen bereits die emotionale Untreue ihrer Partner als schwerwiegenden Fehltritt, da ein Weggang des Mannes die Versorgung ihres Kindes gefährden würde. Trotz der evolutionär-logischen Eifersuchtsstereotypen ist jeder Mensch und folglich jede Partnerschaft einzigartig. Authentische Gespräche über die jeweiligen Vorstellungen von Treue und Vertrauen sind in einer festen Partnerschaft daher unumgänglich, wobei auch die Lebensbereiche, die vom Partner jeweils nicht (mit)erlebt werden können, sprachlich erlebbar gemacht werden sollten. Dies stärkt die Bindung und schafft gegenseitiges Vertrauen. Eine Paarbeziehung ist schließlich ein gemeinsames Projekt, bei welchem beide Partner Inhalt und Richtung aushandeln.
Enttäuschtes oder gar missbrauchtes Vertrauen stellt eine schwere Belastungsprobe für jede Art von Beziehung dar. In Freundschaften, Familien, beruflichen Bündnissen und Liebespaaren kann missbrauchtes Vertrauen zu einer schweren Krise führen, welche das Fundament einer langjährigen Beziehung auf den Prüfstand stellt. Denn ein einmal missbrauchtes Vertrauen wiegt schwerer als viele Jahre der Treue und Loyalität. Wenn ein Partner untreu wurde, steigt subjektiv die Wahrscheinlichkeit, dass er auch in Zukunft entgegen des gemeinsamen Vertrauensabkommens handeln wird. Der betrogene Partner zweifelt plötzlich an seiner Fähigkeit, die Handlungsabsichten des Liebsten richtig einzuschätzen. Denn wer sich einmal irrt, kann immer wieder irren. Folglich wird nicht nur das Fremdvertrauen in den untreuen Partner, sondern auch das Selbstvertrauen in die eigene Menschenkenntnis erschüttert. Eine einst funktionierende, vertrauensvolle Beziehung wandelt sich wieder in ein komplexes und unberechenbares Zweiersystem.
Die menschlichen Reaktionen auf Untreue sind vielseitig. Nach Entdeckung oder Offenlegung einer Außenbeziehung, weisen viele Paare klinisch bedeutsame Ausprägungen von Depressionen, Belastungsreaktionen und/oder Ängsten auf. Untreue ist zudem einer der am häufigsten genannten Gründe für eine Trennung bzw. Scheidung. Auch das Partner-„Stalking“ – das Verfolgen und Nachspionieren des Anderen aus Eifersuchtsmotiven – ist eine häufige Reaktionsform. Hierbei werden Telefonanrufe belauscht, liegengelassene Handys hemmungslos nach verdächtigen SMSs durchforstet, private E-Mails gelesen und die Partner mit verzweifelten Telefonanrufen überwacht. Als Selbstschutz, lautet die entschuldigende Rechtfertigung. Schließlich gilt es, verlorene Kontrollmöglichkeiten zurückzuerlangen. Ein Schuss in den Ofen. Denn wie kann man Offenheit vom Partner erwarten, wenn man selbst heimlich hinter seinem Rücken agiert?
Wie schon zu Beginn des Vertrauensaufbaus, so sind auch in der Beziehungskrise authentische Gespräche hilfreich für den Fortbestand der Partnerschaft. In der klärenden Auseinandersetzung werden die Karten neu gemischt, und gemeinschaftlich neue Spielregeln festgelegt. Durch offene und bewusste Vertrauenshandlungen wird der Partnerschaft ein neues Gerüst erbaut. Dieser Vorgang ist als ein langer Prozess zu sehen, welcher gar Jahre in Anspruch nehmen kann und daher große Geduld voraussetzt.  Alle Karten auf das Vertrauen zu setzen ist sicherlich ein Risiko, doch ist es die einzige Gewinnchance, die sich uns bietet. Schließlich besteht ein klarer, bedeutungstragender Zusammenhang zwischen Treue und Vertrauen. Nur wer selbst respektvoll, offen und ehrlich innerhalb einer Partnerschaft agiert, kann – aufgrund der bereits erwähnten gesellschaftlichen Reziprozität („Wie Du mir, so ich Dir“) – auch mit Respekt, Offenheit und Ehrlichkeit belohnt werden.
Die Liebe ist eben wie ein Spiel, dessen komplexe Regeln wir wohl niemals ganz erlernen werden. Doch eines bleibt stets gewiss: Kontrolle ist nie gut. Vertrauen ist besser. Denn Eifersucht und Misstrauen haben seit jeher schon die meisten Beziehungen zerstört.

Sonntag, 2. Januar 2011

Spieglein, Spieglein an der Wand ...

Liftings, Brustimplantate, Nasen-OPs und nicht zuletzt das Bodybuilding – immer mehr Menschen erliegen dem Druck des modernen Körperkults. Fitnessstudios, Schönheitschirurgen und Kosmetikhersteller freuen sich über eine stetig zunehmende Anzahl neuer (rezeptiver) und fanatischer Kunden. Konsumiert wird alles, solange es nur irgendwie der Schönheit dient. Der eigene Leib wird dabei zum formbaren Rohmaterial, das je nach Modeerscheinung lebenslang bearbeitet werden muss. Doch ist die Auseinandersetzung mit Körper und Schönheit keine Erfindung des modernen Zeitgeists sondern vielmehr ein uraltes Geschehen, welches Frauen wie Männer seit jeher gleichermaßen bewegte. Blashäutig, braunhäutig, dünnbauchig, dickbauchig, bärtig oder kindlich – je nach kulturellem Kontext existierten für das weibliche und männliche Geschlecht bestimmte Schönheitsvorgaben, die sich im Laufe der Zeit ständig wandelten. Heutzutage sollte die moderne Frau sowohl schlank sein als auch weibliche Rundungen aufweisen; der moderne Mann sollte sich durchtrainiert und – selbstverständlich – unbehaart präsentieren.
Waschbrettbauch, Wunderpo und Muskelmasse – nicht zu vergessen, die stehenden, prallen Brüste und glatten Oberschenkel – sind dabei kleine Erfolge im heroischen Kampf, den vorbestimmten Verfall des eigenen Organismus kontrollieren zu wollen. Der Körper verkommt zu einem Prestigeobjekt, welches bestimmten Qualitätsstandards zu genügen hat. Menschen, die jenem Körperkult erlegen sind, nehmen den aktuellen Zustand ihres Körpers als das Resultat umgesetzter Willensanstrengungen wahr. Sie vertreten die Einstellung, dass Fortschritte nur unter hohem Einsatz, nach zahlreichen Rückschlägen und jenseits der Schmerzgrenze zu erreichen sind. Die Kraft, etwas Schwaches, Träges und Weiches in etwas Kräftiges, Hartes und Aktives modellieren zu können, oder der Ehrgeiz, Fettpölsterchen und Reiterhosen konsequent zu reduzieren, verschafft ihnen in ihrem Umfeld Anerkennung und soziales Ansehen. Wie nahe man der Perfektion dabei kommt, wird in der elitären Welt der Schönheitsfans als Maß des eigenen sozialen Status gesehen. Und die Mühen scheinen sich durchaus zu lohnen: Psychologische Untersuchungen zum Attraktivitätsstereotyp zeigen, dass physisch attraktiven Personen positivere Persönlichkeitseigenschaften zugeschrieben werden als unattraktiven Personen. Auch die Arbeitsleistung wohlgeformter Mitarbeiter wird durchweg erfolgreicher eingeschätzt als die weniger attraktiver Kollegen. Schönheit zieht.
Um jedoch auf dem harten Schönheitsmarkt neben anderen Bodykonkurrenten bestehen zu können, bemühen sich insbesondere Frauen darum, auch noch die absurdesten Schönheitsnormen einzuhalten, was meist mit sehr großen Einschränkungen – aber auch mit Schmerzen, Schweiß und Kosten verbunden ist. Ein Teufelskreis. Denn mit der Sehnsucht nach der optimalen und daher makellosen Gestaltung des Körpers – die nie zu erreichen und stets verbesserungswürdig ist – gelangt man schnell an die Grenze der menschlichen Machbarkeit: Es existiert kein Körperteil und keine Partie am gesamten Körper, die ganz ohne Makel wäre – alles kann man noch verschönern. Das Idealbild vom „schönen” Körper wird zur fixen Idee und zur Obsession. Die Folge: Die Körperformer werden stets aufs Neue mit der eigenen (natürlichen) Inkompetenz konfrontiert und entdecken schamhaft ihre physischen Unzulänglichkeiten. Ihre, an der Norm perfekter Körper orientierten Selbstwerte, geraten ins Wanken. Hin- und hergerissen zwischen Eitelkeit und Selbstvorwürfen, zwischen Geltungsdrang und Unsicherheit, obliegen die beaus einer recht ambivalenten Natur.
Das radikale Streben nach Schönheit und Anerkennung und das Scheitern an den Grenzen der menschlichen Natur, kann in diesem Zusammenhang auch mit einer diffusen sozialen Neigung einhergehen. Denn Schönheit beschränkt sich nicht allein auf die Bewertung der körperlichen Physiognomie. Hinter dem materiellen Körper verbirgt sich stets auch ein sozialer Körper als Träger der Symbole und Elemente der Gesellschaft. Ich bin, wie ich aussehe – so die Überzeugung der Körperästhetiker. Folglich entsteht aus der Angst um das labile Ich ein Selbstschutz gegenüber tiefen zwischenmenschlichen Beziehungen. Denn aus der Nähe kann auch Botox die ersten Fältchen nicht mehr verdecken und die Furcht vor Kritik wäre allgegenwärtig.
Andererseits ist den Bodypimpern ein zurückhaltendes oder scheues Auftreten fremd, denn die soziale Isolation wäre dem eigenen Bestreben vollkommen abträglich. Schön sein möchte man nämlich nicht nur in den eigenen – sondern auch in den Augen anderer Menschen. Dementsprechend sucht die Schönheitselite gezielt den Kontakt zu normalen Alltagsmenschen: Vor ihnen gilt es sich zu präsentieren, um als wunderschön und begehrenswert bestätigt und beneidet zu werden. Das Publikum wird dabei zum empathischen Selbstobjekt und dient der Verbesserung des (labilen) Selbstwerts.  
Durch die ständige Beschäftigung mit dem eigenen Aussehen wandeln sich jedoch auch die (sozialen) Prioritäten der Somatophilen. Eine tiefgehende Partnerschaft wird nicht mehr benötigt, denn Verliebtheit ist nur noch die Verliebtheit in das eigene idealisierte Abbild. Gesucht wird im Gegenüber das benötigte Spiegelbild und nicht etwa der andere Mensch. Der eigene Körper ist nämlich das wesentliche, gar einzige Liebesobjekt. Auch das Aussenden sexueller Signale dient wohl nur dem Zweck, Bestätigung zu erhalten und nicht der Hoffnung, tatsächlich einen Geschlechtspartner zu finden. Denn das Streben nach Schönheit gilt nicht nur ästhetischen Motiven, sondern auch ideellen Einstellungen, wie Willensstärke und Selbstdisziplin. Stets arbeitet der Körperbildner daran, seinen Körper einem ästhetischen Idealbild anzupassen und versucht damit auch eine entschlossene geistige Einstellung auszudrücken. Die einseitigen Gewohnheiten alltäglicher Körperrituale (wie Sexualität) können seine physischen und psychischen Sehnsüchte daher keineswegs voll befriedigen. Ins Zentrum des Bewusstseins rückt vielmehr die Zuneigung zur eigenen Wohlgeformtheit, das Spielen mit dem eigenen Körper, welcher – auf unbestimmte Zeit – leider das einzige Liebesobjekt ist und bleibt.