Sonntag, 2. Januar 2011

Spieglein, Spieglein an der Wand ...

Liftings, Brustimplantate, Nasen-OPs und nicht zuletzt das Bodybuilding – immer mehr Menschen erliegen dem Druck des modernen Körperkults. Fitnessstudios, Schönheitschirurgen und Kosmetikhersteller freuen sich über eine stetig zunehmende Anzahl neuer (rezeptiver) und fanatischer Kunden. Konsumiert wird alles, solange es nur irgendwie der Schönheit dient. Der eigene Leib wird dabei zum formbaren Rohmaterial, das je nach Modeerscheinung lebenslang bearbeitet werden muss. Doch ist die Auseinandersetzung mit Körper und Schönheit keine Erfindung des modernen Zeitgeists sondern vielmehr ein uraltes Geschehen, welches Frauen wie Männer seit jeher gleichermaßen bewegte. Blashäutig, braunhäutig, dünnbauchig, dickbauchig, bärtig oder kindlich – je nach kulturellem Kontext existierten für das weibliche und männliche Geschlecht bestimmte Schönheitsvorgaben, die sich im Laufe der Zeit ständig wandelten. Heutzutage sollte die moderne Frau sowohl schlank sein als auch weibliche Rundungen aufweisen; der moderne Mann sollte sich durchtrainiert und – selbstverständlich – unbehaart präsentieren.
Waschbrettbauch, Wunderpo und Muskelmasse – nicht zu vergessen, die stehenden, prallen Brüste und glatten Oberschenkel – sind dabei kleine Erfolge im heroischen Kampf, den vorbestimmten Verfall des eigenen Organismus kontrollieren zu wollen. Der Körper verkommt zu einem Prestigeobjekt, welches bestimmten Qualitätsstandards zu genügen hat. Menschen, die jenem Körperkult erlegen sind, nehmen den aktuellen Zustand ihres Körpers als das Resultat umgesetzter Willensanstrengungen wahr. Sie vertreten die Einstellung, dass Fortschritte nur unter hohem Einsatz, nach zahlreichen Rückschlägen und jenseits der Schmerzgrenze zu erreichen sind. Die Kraft, etwas Schwaches, Träges und Weiches in etwas Kräftiges, Hartes und Aktives modellieren zu können, oder der Ehrgeiz, Fettpölsterchen und Reiterhosen konsequent zu reduzieren, verschafft ihnen in ihrem Umfeld Anerkennung und soziales Ansehen. Wie nahe man der Perfektion dabei kommt, wird in der elitären Welt der Schönheitsfans als Maß des eigenen sozialen Status gesehen. Und die Mühen scheinen sich durchaus zu lohnen: Psychologische Untersuchungen zum Attraktivitätsstereotyp zeigen, dass physisch attraktiven Personen positivere Persönlichkeitseigenschaften zugeschrieben werden als unattraktiven Personen. Auch die Arbeitsleistung wohlgeformter Mitarbeiter wird durchweg erfolgreicher eingeschätzt als die weniger attraktiver Kollegen. Schönheit zieht.
Um jedoch auf dem harten Schönheitsmarkt neben anderen Bodykonkurrenten bestehen zu können, bemühen sich insbesondere Frauen darum, auch noch die absurdesten Schönheitsnormen einzuhalten, was meist mit sehr großen Einschränkungen – aber auch mit Schmerzen, Schweiß und Kosten verbunden ist. Ein Teufelskreis. Denn mit der Sehnsucht nach der optimalen und daher makellosen Gestaltung des Körpers – die nie zu erreichen und stets verbesserungswürdig ist – gelangt man schnell an die Grenze der menschlichen Machbarkeit: Es existiert kein Körperteil und keine Partie am gesamten Körper, die ganz ohne Makel wäre – alles kann man noch verschönern. Das Idealbild vom „schönen” Körper wird zur fixen Idee und zur Obsession. Die Folge: Die Körperformer werden stets aufs Neue mit der eigenen (natürlichen) Inkompetenz konfrontiert und entdecken schamhaft ihre physischen Unzulänglichkeiten. Ihre, an der Norm perfekter Körper orientierten Selbstwerte, geraten ins Wanken. Hin- und hergerissen zwischen Eitelkeit und Selbstvorwürfen, zwischen Geltungsdrang und Unsicherheit, obliegen die beaus einer recht ambivalenten Natur.
Das radikale Streben nach Schönheit und Anerkennung und das Scheitern an den Grenzen der menschlichen Natur, kann in diesem Zusammenhang auch mit einer diffusen sozialen Neigung einhergehen. Denn Schönheit beschränkt sich nicht allein auf die Bewertung der körperlichen Physiognomie. Hinter dem materiellen Körper verbirgt sich stets auch ein sozialer Körper als Träger der Symbole und Elemente der Gesellschaft. Ich bin, wie ich aussehe – so die Überzeugung der Körperästhetiker. Folglich entsteht aus der Angst um das labile Ich ein Selbstschutz gegenüber tiefen zwischenmenschlichen Beziehungen. Denn aus der Nähe kann auch Botox die ersten Fältchen nicht mehr verdecken und die Furcht vor Kritik wäre allgegenwärtig.
Andererseits ist den Bodypimpern ein zurückhaltendes oder scheues Auftreten fremd, denn die soziale Isolation wäre dem eigenen Bestreben vollkommen abträglich. Schön sein möchte man nämlich nicht nur in den eigenen – sondern auch in den Augen anderer Menschen. Dementsprechend sucht die Schönheitselite gezielt den Kontakt zu normalen Alltagsmenschen: Vor ihnen gilt es sich zu präsentieren, um als wunderschön und begehrenswert bestätigt und beneidet zu werden. Das Publikum wird dabei zum empathischen Selbstobjekt und dient der Verbesserung des (labilen) Selbstwerts.  
Durch die ständige Beschäftigung mit dem eigenen Aussehen wandeln sich jedoch auch die (sozialen) Prioritäten der Somatophilen. Eine tiefgehende Partnerschaft wird nicht mehr benötigt, denn Verliebtheit ist nur noch die Verliebtheit in das eigene idealisierte Abbild. Gesucht wird im Gegenüber das benötigte Spiegelbild und nicht etwa der andere Mensch. Der eigene Körper ist nämlich das wesentliche, gar einzige Liebesobjekt. Auch das Aussenden sexueller Signale dient wohl nur dem Zweck, Bestätigung zu erhalten und nicht der Hoffnung, tatsächlich einen Geschlechtspartner zu finden. Denn das Streben nach Schönheit gilt nicht nur ästhetischen Motiven, sondern auch ideellen Einstellungen, wie Willensstärke und Selbstdisziplin. Stets arbeitet der Körperbildner daran, seinen Körper einem ästhetischen Idealbild anzupassen und versucht damit auch eine entschlossene geistige Einstellung auszudrücken. Die einseitigen Gewohnheiten alltäglicher Körperrituale (wie Sexualität) können seine physischen und psychischen Sehnsüchte daher keineswegs voll befriedigen. Ins Zentrum des Bewusstseins rückt vielmehr die Zuneigung zur eigenen Wohlgeformtheit, das Spielen mit dem eigenen Körper, welcher – auf unbestimmte Zeit – leider das einzige Liebesobjekt ist und bleibt.


1 Kommentar:

  1. Hallo, das ist ja eine schöne Reflexion zum Thema Aussehen und Oberflächlichkeit, über die dich da gestolpert bin.

    Danke für diese Denkanstöße. Ich kann vielleicht dir auch noch welche schenken. Ganz aktuell gibt es bei gutefrage.net in diesem Blog eine interessante Diskussion zu dem Thema, ob (Männer und) Frauen doch mehr aufs Äußere als auf "innere Werte" achten. Für gute-frage-verhältnisse sehr ernst geführt und mit viel Sensibilität.

    Wichtig: Es geht in der Diskussion um etwas, was Deine Ansichten und Einsichten zum Thema Körperkult (also bezogen auf den Körber selbst ergänzt, nämlich viel um den modischen Aspekt, der sozusagen der verlängerte Arm des Schönheitskults ist.

    Ein kleiner AUsschnitt: Mode: Die Art und Weise, wie sich jemand kleidet, sagt nun einmal sehr viel über dessen Selbstdefinition aus, wozu Kleidung ja auch in diversen Szenen (zumindest in der Pubertät oder als junger Erwachsener) genutzt wird. Dass man jetzt einen anderen Eindruck von jemandem hat, der in kompletter Ledermontur durch die Gegend läuft, als von jemanden in einem Micky-Mouse-Schlabber-T-Shirt dürfte klar sein. Und von dem in Ledermontur hat man einen anderen Eindruck als von der Person, die einen teuren Maßanzug trägt.

    Was da gesagt wird, stimmt denke ich schon. Besonders der genannte Maßanzug hat eben oft eine bestimmte Wirkung auf andere Menschen: du bist erfolgreich, sagt er. Du hast Geld. Du hast Stil. Und du hast Einfluss. Verübeln kann man das dem anderen gar nicht mehr ... schau Dir nur mal an, wie schick schon allein ein zugehöriger Webauftritt für Maßanzüge aussieht: Das ist nicht für jedermann (will das sagen), sondern für den Mann von Welt.

    Das kann man positiv bewerten wie negativ bewerten, denke ich. Einerseits kann sich jeder den Anzug erarbeiten und dann von den Vorteilen profitieren. Andererseits fällt einem da mal wieder ein, dass solche Maßnahmen wie einheitliche Schulkleidung eben doch dabei helfen können, den Blick wieder auf andere Dinge zu lenken ... wie den Charakter z.B.

    Ganz liebe Grüße

    AntwortenLöschen