Mittwoch, 9. Februar 2011

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile


„Liebe ist der Entschluss, das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen“, so die weisen Worte des deutschen Schriftstellers Otto Flake (1880-1963). Mit anderen Worten: Ich liebe meinen Partner, obwohl er *‘#҉҂¥! Es gibt wohl keinen Menschen in fester Partnerschaft, den nicht die eine oder andere Marotte seines Geliebten oder seiner Geliebten stört. Diese winzigen Kleinigkeiten, die man anfangs noch niedlich fand und die irgendwann nur noch nervig sind. Das Schlurfen des Kaffees am Frühstückstisch, das Singen unter der Dusche, die Löcher in den Socken.. Egal. Die Hauptsache ist, dass man sich trotz aller Ecken und Kanten liebt. Was aber, wenn uns diese Kleinigkeiten in der Öffentlichkeit peinlich sind? Oder das Verhalten des Partners unseren moralischen Ansichten widerspricht? Anders gefragt: Sollte und kann man tatsächlich alles an seinem Partner akzeptieren?
Eine Liebes- und Lebenspartnerschaft unterscheidet sich von anderen Beziehungen (zwischen Freunden, Arbeitskollegen, Nachbarn) durch eine stärkere Intimität und Vertrautheit, eine höhere Intensität an Emotionen, der Identifikation mit dem Partner, dem Vorhandensein einer gemeinsamen Lebensdeutung und -gestaltung sowie einer Vielfalt an gemeinsamen Tätigkeiten und gegenseitigen Abhängigkeiten. Ein Partner an unserer Seite ist demnach das höchste Maß an emotionaler, leidenschaftlicher, physischer und lebensbeeinflussender Zweisamkeit, das wir erreichen können. Unser Partner ergänzt uns. Er spiegelt uns wider. Er bestimmt unser künftiges Leben und repräsentiert uns als Paar, auch wenn wir selbst gar nicht anwesend sind. Demnach übt eine feste Partnerschaft enormen Einfluss auf die Dynamik unserer sozialen Beziehungen und auf unseren künftigen sozialen Status aus. Angesichts dieser entscheidenden Auswirkungen auf unser soziales Leben, erscheint es logisch, dass sich die Suche nach dem „richtigen“ Lebensgefährten als schwierig erweist. So sollte bei Paaren in jedem Fall die „Chemie stimmen“, man sollte „zueinander passen“, sich „gegenseitig anziehend finden“ - entsprechend den Elementen unseres ersten Physikbaukastens oder der Suche nach dem passenden Schlüssel für ein seltenes Schloss. 
Selbst wissenschaftliche Untersuchungen machen deutlich, dass Partnerschaften, die durch ähnliche Charaktereigenschaften, Überzeugungen und Lebensführungen geprägt sind, von beiden Parteien positiver bewertet werden. Dementsprechend fällt es Paaren nachweislich leichter, einander zu akzeptieren, wenn sich beide Partner in ihrer Werthaltung recht ähnlich sind. So mögen unterschiedliche Einstellungen und Ansichten zu Beginn einer Beziehung noch reizvoll sein, da Eigenschaften bewundert werden, die man selbst nicht besitzt, doch erschweren jene Unterschiede zunehmend das Zusammenleben. Meist vergeht erst einige Zeit gemeinsamen Lebens, ehe sich Differenzen in den Handlungsweisen und Wertauffassungen negativ auf das Befinden der Partner auswirken; in besonderem Maße dann, wenn kritische Ereignisse des beruflichen oder privaten Lebens zusätzliche Belastungen implizieren. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Ähnlichkeiten zwischen Partnern in dieser Beziehungsphase von Vorteil sind, da sie die Wahrscheinlichkeit von Enttäuschungen und Missverständnissen verringern und das Auftreten von dauerhaften Konflikten und Streitereien reduzieren. Gleichzeitig führen sie dazu, dass sich beide Partner in dem, was sie als wichtig und wertvoll erachten, häufiger bestätigt und abgesichert fühlen und dadurch insgesamt mehr erfreuliche Erfahrungen miteinander teilen können. In diesem Zusammenhang zeigte sich in einer Studie über die Qualität von Partnerschaften, dass ähnliche Werthaltungen umso wichtiger werden, je länger eine Beziehung besteht. Denn hat man sich einmal für einen gemeinsamen Weg entschieden und gegenseitig Vertrauen gefasst, tritt verstärkt das Bedürfnis in den Vordergrund, dass die eigene persönliche Eigenart mit allen Stärken und Schwächen durch den Partner bestätigt wird.
Und so stolpern viele Menschen von Beziehung zu Beziehung, auf der Suche nach dem perfekten Partner. Dem Partner, der all ihren Erwartungen gerecht wird und dessen Erwartungen sie erfüllen. Dabei ist den wenigsten bewusst, dass in einer idealen Partnerschaft nicht der Partner ideal ist. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, zu lernen, mit den jeweiligen Unterschieden umzugehen und auch die Schwächen des Anderen zu akzeptieren. Wer nämlich Partnerschaft als reines Schicksalspiel interpretiert, wird auch nicht die Entwicklungs- und Veränderungsmöglichkeiten einer Beziehung wahrnehmen. Denn Partnerwahl heißt immer auch Problemwahl: Mit der Wahl für einen Menschen entscheidet man sich sowohl für seine positiven, als auch für seine weniger positiven Eigenschaften – idealerweise wird (ganz im Sinne Otto Flakes) dennoch der ganze Mensch bejaht. Manchmal müssen sich zwei Menschen eben erst „zusammenraufen“, um Schritt für Schritt zueinander zu finden. Damit eine Partnerschaft also funktioniert, sind Kompromisse unerlässlich. Dies setzt voraus, dass beide Partner von ihrer eigenen Position ein Stück weit abweichen. Wer dies akzeptiert, ist zu Beginn einer Partnerschaft eher dazu bereit, in diese zu investieren und auch bei Schwierigkeiten nicht so schnell aufzugeben. Doch wo liegt die Grenze zwischen förderlichen und geforderten Kompromissen? Und wie kann man sich sicher sein, dass man sich für das Wohl einer Beziehung nicht zu sehr verbiegt?
Gesunde Kompromisse werden in der Regel von beiden Partnern als fair, stimmig und gerecht erlebt. Dabei ist es wichtig, einen Wunsch des Partners nicht schon im Vorfeld abzulehnen, sondern jedem Anliegen seine Berechtigung zu geben. Dies fördert die Entstehung von Sympathie zwischen den Interaktionspartnern und gleichzeitig auch die Annäherung ihrer Einstellungen. Studien haben in diesem Zusammenhang ergeben, dass ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen mit einem höheren Maß an Kompromissbereitschaft einhergeht. Eine wertschätzende, zielgerichtete Kommunikation bildet hierbei die entscheidende Grundlage, d.h. man begegnet dem anderen entsprechend freundlich und erhält eine freundliche Antwort. Wer also dazu neigt, dem Partner positive Eigenschaften zuzuschreiben, wird sich ihm gegenüber entsprechend positiv verhalten; dieser wird im Gegenzug positiv antworten und so letztendlich den ursprünglichen Eindruck seiner positiven Eigenschaften bestätigen. Hierbei spielt auch der Attributionsstil eine besondere Rolle. Menschen, welche die negativen Eigenschaften ihres Partners auf externale und instabile Faktoren zurückführen, also auf situative Auslöser und/oder Fremdverschulden, positive Eigenschaften hingegen als stabile Charakterzüge des Partners wahrnehmen, berichten häufiger von positiven Partnerschaftserfahrungen, als Menschen, die genau andersherum attribuieren. Beziehungsförderliche Überzeugungen bilden also einen wichtigen Bestandteil im Erfolgsrezept positiver Beziehungen: zum Beispiel indem die Entstehung von Konflikten nicht nur dem Partner zugeschrieben wird, sondern man vielmehr auf die Fähigkeit zur gemeinsamen Problemlösung und das Entwicklungspotential der Beziehung vertraut. Unter diesen Bedingungen werden dann auch Meinungsverschiedenheiten als weniger dramatisch erlebt und aktuelle und künftige Schwierigkeiten als veränderbar gesehen. Dazu ist es jedoch wichtig, sowohl Ansprüche als auch Anforderungen an die Partnerschaft zu klären und zu prüfen ob sie realistisch sind und ob sie dem Wohl der Beziehung eher dienlich oder abträglich sind.
Wenn dann beide Partner, nach einem vereinbarten Kompromiss oder einer gemeinsamen Problemlösung, den Anderen nach wie vor achten und respektieren können und gleichzeitig das Gefühl haben, immer noch sie selbst zu sein, dann sind sie auf dem besten Weg zu einer harmonischen Beziehung. Eine Beziehung, die als Chance für ein gemeinsames Wachstum gesehen wird und durch die das „Wir“ einen höheren Stellenwert erhält. Unter besonders günstigen Bedingungen – wenn sich also beide Partner ihrer gegenseitigen Zuneigung absolut sicher sind – können dann sogar Unähnlichkeiten als reizvoll erlebt werden und eine Chance zur Erweiterung des eigenen Selbst darstellen. 

1 Kommentar:

  1. Bin ja jetzt nicht der allerromantischste Typ auf der Welt, aber dass ich jetzt (erst) über diesen Artikel gestolpert bin, find ich jetzt doch fast schon ein Versäumnis. Mehrere Sätze fand ich richtig nice:

    Dabei ist den wenigsten bewusst, dass in einer idealen Partnerschaft nicht der Partner ideal ist. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, zu lernen, mit den jeweiligen Unterschieden umzugehen und auch die Schwächen des Anderen zu akzeptiere.

    -> So was ähnliches habe ich schonmal gelesen, war ein schlauer Satz: Nicht der andere Partner muss der richtige für eine Beziehung sein, sondern man selbst muss der Richtige für eine Beziehung sein. Also volle Zustimmung!

    Ich liebe meinen Partner, obwohl er $%&!

    -> Ich glaub es war eine Ausgabe von ZEIT Wissen, wo ich den offiziellen Begriff für die Empfindlichkeit gelesen habe, die man nach einigen Jahren auf jemanden entwickelt, mit dem auf engem Raum zusammen lebt. Der Begriff war "Soziale Allergie". Ich denke das ist voll oft in WGs zu beobachten. Das läuft immer nach Schema-F ab: Zuerst findet man die Spleens des anderen interessant bis cool. Dann findet man ein paar irgendwann nicht mehr so lustig. Und zuletzt kann einen die kleinste Sache auf die Palme bringen.

    Dass das bei Ehepaaren passiert die eigentlich total verschieden sind, klingt total logisch. Selbes Schema: Am Anfang wird krass Hochzeit gefeiert, so Wedding Loft-mäßig alles schick gemacht, und jeder Partner himmelt den anderen an und liebt es, dass er ja so verrückt ist. Aber schon nach ein paar Jahren fallen dann beiden Sachen auf, die sie eigentlich gar nicht sooooooo geil am andern finden. Und nach ein paar weiteren Jahren zerbricht daran ... na ja.

    Muss natürlich nicht passieren. Und dafür ist im Artikel eine schöne Theorie geliefert. Ob die ganzen 1000-Checkbox-Dating Apps und Dating Webseiten dabei helfen, dass sich mehr Partner finden die auch super viele gemeinsame Interessen haben? Dann stimmt das dann ja vielleicht wirklich mit dem

    „Liebe ist der Entschluss, das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen." Hach. Mal gucken, wann ich heiraten will.

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