Mittwoch, 15. Dezember 2010

Damals, als alles anders war...

Heute ist ein besonderer Tag: Ich habe Geburtstag. Dabei fühle ich mich gar nicht so besonders. Das mag wohl daran liegen, dass der Geburtstag mit zunehmendem Alter irgendwann nicht mehr den Reiz ausübt, den er in den ersten Lebensjahren noch ausstrahlte. Ganz im Gegenteil: Dass ich nun zum 26. Mal meinen Geburtstag feiere, stimmt mich eher nachdenklich als fröhlich. Wieder ist ein Jahr verstrichen, wieder bin ich älter geworden; und nun habe ich auch noch die Hälfte meiner dritten Lebensdekade überschritten. Was soll daran schon besonders sein? Und dennoch gebe ich auch in diesem Jahr die Hoffnung nicht auf: Die Hoffnung, dass der kindlich-naive Charme des eigenen Geburtstages irgendwann noch einmal wiederkehrt. Diese unvergesslichen Erfahrungen der ersten Lebensjahre: die Aufgeregtheit, die mich in der Nacht zuvor nicht einschlafen ließ; das Zählen der Stunden bis zum nächsten Morgen; die freudige Erregung des Aufwachens; das Glücksgefühl beim Erblicken des Geburtstagstisches, auf dem Kerzen brannten und sich Geschenke türmten. Die Vorfreude auf das Geburtstagsfest mit den Freunden. Diese kindlichen Eindrücke waren so prägnant und so stark mit positiven Impulsen verbunden, dass ich mich noch Jahre später nach ihnen sehne und den Geburtstag als etwas Feierliches sehe, auch wenn mir angesichts der Tatsache, wieder ein Jahr älter geworden zu sein, mittlerweile gar nicht  mehr zum Feiern zumute ist.
Verhält es sich mit Liebesbeziehungen nicht ähnlich? Sind nicht auch diese zu Beginn geprägt durch jenes Kribbeln, diese Aufgeregtheit, dem Gefühl, jemand ganz Besonderes zu sein? Das Frühstück am Bett, die Liebesnachrichten am Badezimmerspiegel, das selbstgekochte 5-Gänge-Menü – ein jedes Paar könnte wohl aus dem Stegreif die schönsten Erinnerungen der ersten Monate aufzählen. Und diese ersten aufregenden Erfahrungen, die uns dermaßen beeindrucken, dass sie sich wortwörtlich in unser Gehirn einprägen, sind der Anker einer jeden Beziehung; der Anker, der einem Paar eine Trennung so schwer macht, selbst wenn die Beziehung schon seit Jahren nicht mehr richtig funktioniert. Schließlich hatten wir doch zu Beginn eine so schöne Zeit zusammen. Schließlich fühlte ich mich in seiner Gegenwart doch so geborgen. Und so kehren wir jeden Tag in die gemeinsame Wohnung zurück, in der Hoffnung, dass die Schmetterlinge im Bauch vielleicht doch noch einmal wiederkehren.
Es sind diese positiven Erfahrungen aus früheren Zeiten – als man tatsächlich jemand Besonderes war (oder von seinem Umfeld zumindest in dieser Überzeugung gelassen wurde) – die uns den Glauben an diesen einen speziellen Tag oder diesen einen speziellen Partner erhalten. Und gleichzeitig waren es jene Erfahrungen, die überhöhte Erwartungen in uns aufkeimen ließen. Erwartungen, die unmöglich ewig erfüllt werden konnten. Wir fühlen uns betrogen, weil der Tag, an dem sich einst alles nur um uns zu drehen schien, ein ganz gewöhnlicher Tag ist; ein Datum, an dem man zufällig geboren wurde – was außer den eigenen Eltern vermutlich niemanden sonderlich beeindruckt. Und wir fühlen uns betrogen, weil sich der Partner, der uns früher spontan zum Tanzen ausführte, mittlerweile lieber auf der Couch seinem Freitagskrimi widmet.
Selbstverständlich war es wichtig und gut, dass wir all diese schönen Erfahrungen sammeln konnten. Weil sie uns als Kind Geborgenheit und Selbstbewusstsein vermittelten oder weil sie dazu führten, dass wir uns in unsere Partner verliebten. Daher spielt es keine Rolle, dass uns der Geburtstag als Kind nur deshalb so wichtig erschien, weil uns in unserem routinierten Leben – das vollständig von den Erwachsenen kontrolliert wurde – kaum ein anderes Ereignis an einem Tag zur Königin oder zum König hätte krönen können. Jedoch leben wir mit dem Älterwerden zunehmend unser eigenes Leben, treffen unsere eigenen Entscheidungen und feiern unsere eigenen kleinen Erfolge. Wir benötigen keinen Geburtstag mehr, um uns besonders zu fühlen. An den Tag unserer Geburt können wir uns ohnehin nicht mehr erinnern. Dafür jedoch an den Vertragsabschluss der vergangenen Woche, den wir jetzt am Wochenende ausgelassen feiern können, oder den Studienabschluss, den wir nach mühsamen Lernphasen endlich begießen dürfen.
Und so wie der Reiz der Geburtstage nach und nach abklingt, lässt auch das intensive Bauchkribbeln der frühen Beziehungsphase mit zunehmender Zeit nach. Das ewige Verliebtsein würde ohnehin nicht funktionieren. Wie könnten wir eine Karriere aufbauen, wenn wir jede Minute sehnsüchtig an den Partner denken müssten? Wie morgens erholt bei der Arbeit erscheinen, wenn wir jede Nacht der Liebe frönen würden? Wie Freundschaften aufrechterhalten, wenn wir nur noch Zeit mit dem neuen Freund verbringen wollten? Es ist wohl normal, dass der erste Zauber der Verliebtheit irgendwann verfliegt. Denn das bedeutet, dass wir reifer und erwachsener wurden. Oder dass unsere Beziehung gereift ist. Aus der Verliebtheit wurde Liebe, aus der Erregung wurde Geborgenheit. Und dort beginnt die Aufgabe, dem Vergangenen nicht länger nachzutrauern und sich auf das Neue einzulassen. Dann erkennen wir endlich die endlosen Möglichkeiten, die sich uns in dieser neuen Ära ergeben. Wie die Möglichkeit, statt Geburtstage lieber Hochzeitstage, Jahrestage oder Klassentreffen intensiver zu feiern. Oder den Freitagskrimi bei Kerzenschein, einer Flasche Wein und Spaghetti Carbonara zu genießen. Die eigene Fantasie ausleben – das übt wiederum einen ganz neuen Reiz auf uns aus... und bringt wundervolle neue Erfahrungen mit sich. Was wir mit diesen Erfahrungen alles werden anstellen können? Ich kann es kaum erwarten... J           


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