Montag, 20. Dezember 2010

Vom Suchen und Finden der Liebe – Online!

Vor einigen Wochen besuchte mich meine kleine Schwester. Wie zu erwarten, hatte sie ihren Laptop mitgebracht, denn meine Schwester ohne Computer ist wie Weihnachten ohne Geschenke. Undenkbar! Nachdem der Laptop ausgepackt und angeschlossen war, bekam ich von meiner Schwester – für die gesamte Dauer ihres Aufenthaltes – nur noch Scheitel und Stirnlappen zu Gesicht; ihre restliche Erscheinung verbarg sich hinter dem rechteckigen Bildschirm ihres tragbaren Computers. Man hörte sie lachen, unverständliche Worte murmeln und sah ihre Hände flink über die Tastatur huschen, deren Klicken mich noch im Schlaf verfolgte. Auf der anderen Seite der Leitung tippte und klickte, lachte und murmelte ihr Freund. Eine Situation, die heutzutage nicht ungewöhnlich ist. Chatten ist wie atmen; und das Internet wie eine Nabelschnur, die uns mit sämtlichen überlebenswichtigen Nährstoffen versorgt. Oder zumindest unsere sozialen Bedürfnisse erfüllt.
Es mag wohl daran liegen, dass ich einige Jahre älter bin als meine Schwester und die ersten Jahre meines Lebens daher ohne Computer verbrachte, weshalb die Situation einen etwas paradoxen Eindruck auf mich ausübte. Denn sobald meine Schwester wieder zu Hause war, wollte sie mit mir via Internet quatschen. Während ihres Besuches fielen unsere Gespräche stets dürftig aus – unser Chatdialog hingegen wurde lang und länger. Ich fragte mich, weshalb meine Schwester dieses bizarre Bedürfnis verspürt, immer genau mit der Person sprechen zu wollen, welche gerade nicht anwesend ist? Und weshalb dieser umständliche Weg über das Zehn-Finger-System?
Meine Schwester ist sicherlich kein Einzelfall. Angesichts der zunehmenden Anzahl sozialer Netzwerke, Dating-Seiten und Chatforen, wurde eine neue Ära des sozialen Miteinanders eingeleitet. Mitglieder desselben Haushalts besprechen via Internet, was gekocht und was eingekauft werden soll. Kollegen einer Abteilung informieren sich mittels Emails über den neuesten Tratsch und Klatsch. Und immer mehr Liebesbeziehungen werden am Computer gegründet. Es steht außer Zweifel, dass sich die stetig zunehmende virtuelle Interaktion auf unseren sozialen Umgang auswirkt. Auf unser Verständnis von Freundschaft und Partnerschaft. Auf unsere Fähigkeit der sinnreichen Kommunikation. Leiten diese Veränderungen vielleicht das Ende der klassischen Partnerschaft ein? Sollte man vorsichtshalber ein Sparkonto eröffnen, um sich – im Falle eines plötzlichen Singledaseins – die beträchtlichen Gebühren der Dating-Foren leisten zu können, weil man andernorts keine potentiellen Partner mehr antrifft?
Facebook, Skype & Co. erleichtern es zweifellos jedem Mann (und jeder Frau) mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Eine Freundschaftsanfrage via Facebook an die hübsche Blondine, die man am Vorabend flüchtig auf einer Party kennengelernt hatte, wirkt geradezu harmlos und unverfänglich. Noch vor einigen Jahren hätte es unheimliche Überwindung und großen Mut gekostet, die Auserwählte um ihre Telefonnummer zu bitten. Die Möglichkeit einen Korb zu kassieren war allgegenwärtig. Dagegen ist das „Adden“ per Facebook lediglich mit dem Aufwand eines Fingerklicks verbunden. Die Mühen sind so gering, dass der Erfolg einer angenommenen Freundschaftsanfrage belanglos wirkt. Er wird schlichtweg als zu leicht empfunden. Der Adrenalinstoß, den man im analogen Zeitalter immer dann verspürte, wenn die ersten Rufzeichen am anderen Ende der Leitung ertönten, bleibt aus. Ohne Adrenalin wird wiederum das Belohnungszentrum nicht aktiviert, die Handlung nicht fortgesetzt und weder der Partygast noch die Blondine werden sich des weiteren Kontaktes auf ihrer langen Freundesliste erinnern. Das macht aber nichts, denn dank E-Darling.de, Partnersuche.de oder ElitePartner.de hat man ja gleich eine ganze Auswahl an künftigen Lebensabschnittsgefährten in petto. Früher wurden Briefmarken gesammelt, heute sammelt man Online-Freunde und virtuelle Ehemänner. Die Suche nach Mr./Mrs. Right – die täglichen Email-anfragen und Profilbildobduktionen, das Aktualisieren des eigenen Accounts und die zur Schau-Stellung des gepimpten Selbstbildes – dies alles wirkt dabei so stimulierend, dass das eigentliche Motiv, das tatsächliche Finden eines realen Partners, immer stärker in den Hintergrund tritt. Schließlich ist der virtuelle Geliebte optimal: Eine Zusammenstellung der positiven Eigenschaften sämtlicher Chatfreunde. „Thorsten“ ist stets zur Stelle, wenn ein guter Rat oder eine tröstende Aufmunterung benötigt wird. Mit „Robert“ kann man wunderbar herumalbern. Und „Günther“ hilft, wenn das gute Windows mal wieder zickt. Online natürlich. Denn die Vorteile des virtuellen Kommunizierens liegen auf der Hand – es ist alles kontrollierbar. Ich beantworte Fragen, die ich beantworten möchte und ignoriere Anmerkungen, zu denen ich keine Auskunft erteilen möchte. Meine Antworten sind wohlüberlegt, da ich mir mit dem Schreiben Zeit lassen kann. Schließlich werde ich weder durch erwartungsvolle Gesichtsausdrücke noch durch nervöse Räusperer unter Druck gesetzt. Argumente untermauere ich mittels eines kurzen Abstechers zu Wikipedia und ich verfüge zu jedem Thema über die nötigen Backgroundinfos – Google sei Dank! Weshalb diese geborgene Selbstsicherheit aufgeben und sich in die raue Welt der unkontrollierbaren Wirklichkeit wagen?
Eine Welt, in der nicht geschrieben steht, welche Interessen der hübsche Barkeeper mit dem freundlichen Lächeln aufweist, oder welchem Beruf die schöne Brünette nachgeht, die täglich im Supermarkt um die Ecke ihre Einkäufe erledigt. Woher soll ich dann wissen, worüber ich mich mit meinem Gegenüber unterhalten kann? Die Angst, einen falschen Eindruck zu hinterlassen, wird angesichts der ungewohnten Unsicherheit so stark, dass sich das langsame Kennenlernen und Erforschen unserer Mitmenschen zu einer bedrohlichen Angelegenheit manifestiert. Die Folge: soziale Phobien, Angststörungen und Isolation. Die Angst vor falschen Entscheidungen. Die Weigerung, einen Film zu sehen, ohne sich vorher in Chatforen über dessen Qualität zu informieren. Die Hemmung, ein Produkt zu kaufen, ohne im Vorfeld sämtliche Bewertungen analysiert zu haben. Und das zunehmende Unvermögen, Kontakte aufzunehmen, ohne im Vorfeld Facebook-Profile und Lebensläufe studiert zu haben. Sämtliche Online-Foren und Partnerbörsen freuen sich über die abnehmende soziale Kompetenz unserer Gesellschaft.
Sicherlich ist das Internet für alle Dauersingles und schüchternen Erdenmenschen eine wunderbare Möglichkeit, mit ihrem Umfeld in Kontakt zu treten. Doch das Netz vermittelt uns eine Sicherheit, die in der wirklichen Welt so nicht existiert. Und es nimmt uns die Freiheit selbst zu entscheiden. Über den Film, den wir sehen möchten. Oder den Partner, den wir lieben wollen. Doch es scheint, als gäben wir diese Freiheit – die sich vorangehende Generationen so bitter erkämpften – sehr gerne wieder ab. Um sie einer 20 x 30 cm großen Maschine anzuvertrauen. Und so werden Ehepartner zwar nicht mehr von den eigenen Eltern, dafür jedoch von einem 3.6-Gigahertz-Prozessor auserwählt. Die rationale Partnersuche kehrt zurück.
Vielleicht zu Recht, weisen klassische Liebesbeziehungen doch eine ziemlich enttäuschende Erfolgsbilanz auf. Unterschiedliche Einstellungen, Interessen und Lebensziele führen häufig zu Reibereien, die eine gemeinsame Zukunft erschweren. Das Netz hingegen unterbreitet Partnervorschläge, die wie eine Kopie unserer Selbst anmuten. Der Vorteil: Menschen, die uns ähneln, sind uns auf Anhieb sympathisch. Man kann sich also auf eine reibungslose, konfliktarme Zweisamkeit freuen. Pardon: Viersamkeit.
Da hätte ich doch fast die Computer vergessen...

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